Auf Kreuzfahrt

Ein Reisebericht von
Birgit Dralle 2004

Seite vor

Kollegen, gerade solche, die schon seit Jahrzehnten im Geschäft sind, vergleichen ihre Zeitung gern mit einem großen Dampfer. Der in voller Fahrt nicht seinen Kurs ändert - oder ändern kann. Und wenn, dann nur um Bruchteile eines Grades. Ein Dampfer, dem es - selbst wenn er in die richtige Richtung unterwegs ist - schwer fällt, mit neuen, um mehrere Grad von den alten abweichenden Koordinaten seine Reise fortzusetzen.

Ich denke, diese Kollegen würden auch die St. Louis Post-Dispatch, in deren Redaktion ich zu Beginn dieses Jahres zwei Monate lang hospitierte, als einen solchen Dampfer bezeichnen. Die Post-Dispatch ist die führende, weil einzige Tageszeitung in St. Louis, einer 300000-Einwohner-Stadt (drei Millionen mit den Vororten) im US-Bundesstaat Missouri. Die Post-Dispatch ist eine Zeitung mit Tradition. Die erste Ausgabe erschien am 12. Dezember 1878, Eigentümer und Herausgeber war Joseph Pulitzer. Die Zeitung hat heute eine Auflage von rund 350000 in der Woche und knapp einer halben Million am Sonntag. Der Pulitzer Inc. gehören inzwischen 14 Tageszeitungen, dazu die 38 Suburban Journals of Greater St. Louis. Die Post-Dispatch ist das Flaggschiff des Unternehmens. Und dieses neu auf Kurs zu bringen, haben sich Redaktion und Management in diesem Jahr zum Ziel gesetzt. „Wir wollen unsere Zeitung fit für das 21. Jahrhundert machen“, schwor Chefredakteurin Ellen Soeteber ihr Team im Januar auf die Veränderungen ein.

Die St. Louis Post-Dispatch steht vor einem Redesign. Davon ahnte ich nichts, als ich mich im vergangenen Jahr um ein Praktikum in der Redaktion bewarb. Mein wichtigstes Kriterium war, eine Zeitung zu finden, die lokal bis regional verwurzelt ist. Mit einer Redaktion, die nicht zu groß ist, so dass man als Gast alle Bereiche - wenn nötig auch selbstständig - überblicken kann. Ich wollte Antworten finden auf die schlichte Frage: „Wie machen die da Zeitung?“ Und ich wollte natürlich wenn möglich dabei auch selbst ein wenig mitmachen dürfen.  Ich fand all diese Kriterien erfüllt - aber mitzubekommen, wie sich die Redaktion dem Redesign näherte, war der größte Gewinn für mich.

Mit dem Redesign will die Redaktion eine Gruppe vor allem gewinnen: die gelegentlichen Leser. „Unser Ziel ist es, Leser, die uns einmal in der Woche lesen, dazu zu bewegen, es zwei- oder dreimal zu tun“, sagt Ellen Soeteber. Die Chefredakteurin hielt von Beginn an den Begriff „Redesign“ für die anstehenden Veränderungen für nicht treffend genug. Vielmehr gehe es darum, in Design und Inhalt, „im Schreiben und Berichten, in der Fotografie und Grafik - in jedem handwerklichen Bereich bestechend zu sein“. Das Redesign bedeute im weitesten Sinne eine Verbesserung der Arbeit für den Leser. „Wir wollen die Qualität weiter steigern, wir wollen nie zufrieden sein.“

In so genannten Fokus-Gruppen waren im Januar Leser  befragt worden. Das Designer-Team hatte zu diesem Zeitpunkt mit den Vorbereitungen für das Redesign bereits begonnen. Ich war Teil dieses Teams und fühlte mich dort gut aufgehoben. Diese Gruppe von 16 Kollegen ist erstens in alle Bereiche der täglichen Zeitungsproduktion eingebunden, und zweitens mit der Organisation des Redesigns beauftragt gewesen. Ich hatte also genau an der Stelle meinen Platz, an der ich für meine Arbeit zuhause am meisten gewinnen konnte. Seit fast drei Jahren schreibe ich nicht mehr selbst, sondern bin mit der Organisation und Produktion, von der Blattplanung bis zum Layout, unserer Zeitung betraut. Wir arbeiten mit dem Layout-Programm QuarkXPress. Dass die Kollegen bei der Post-Dispatch dieses auch nutzen, war mehr als ein glücklicher Zufall. Ich konnte also, wie ich es gehofft hatte, tatsächlich mitmachen. Zunächst ging es darum, geeignete Schriften zu finden. Dann ging es um Farben. Sollte die Post-Dispatch Grundfarben bekommen? Welche Farben sind typisch für die Stadt, sollte man versuchen, diese zu übernehmen? Schließlich der Titelkopf. Wie soll der künftig aussehen, sollte die Arch, das Wahrzeichen von St. Louis, darin vorkommen? Oder sollte er aus Tradition nicht geändert werden? Schon bei den Designern zeigte sich, was sich auch später in den inhaltlichen Diskussionen verstärkte: Bei diesem Redesign darf alles hinterfragt werden, was bisher war.

Ab Mitte Februar habe ich dann die Sitzungen der Gruppen, die sich mit den Inhalten der Zeitung auseinander setzen sollten, besucht. Für mich als Zuhörer war vor allem der Ansatz interessant, die tägliche Arbeit zu hinterfragen: „Warum machen wir das eigentlich so und nicht anders?“ Ich habe in diesen Sitzungen viel über die Zeitung gelernt. Die Zusammensetzung aus Redakteur und Designer, aus Jung und Alt, treuen PD-Redakteuren und solchen Kollegen, die schon bei mehreren Zeitungen gearbeitet habe, hat die Diskussionen sehr vielschichtig werden lassen. Die Abschlussberichte dieser Gruppe sollten die Ziele des Redesigns definieren - leider war ich nicht mehr dabei, um die Ergebnisse zu sehen.

Meine Zeit bei der Post-Dispatch habe ich in der Redesign-Werkstatt verbracht und direkt im Newsroom im fünften Stock des Verlagsgebäudes am Tucker Boulevard. Der Newsroom war ein Erlebnis: Tatsächlich gehört der Redaktion eine ganze Etage. Über 100 Reporter, Redakteure, Fotografen, Designer und Grafiker - die tatsächliche Zahl konnte mir niemand nennen - arbeiten hier auf wirklich engstem Raum zusammen - nur die Wirtschaft ist auf einer anderen Etage. Wände gibt es nur zu den angrenzenden Büros der Chefredaktion, einigen größeren Konferenzräumen und kleineren Besprechungszimmern sowie den Gemeinschaftsräumen. Die jeweiligen Arbeitsplätze beschränken sich auf einen Schreibtisch, Computer und einen kleinen Schrank. Über dem ganzen Raum hängt ein konstantes Surren, Telefone klingeln, Fernseher laufen.

Ich war bei allen Konferenzen dabei, um Abläufe kennen zu lernen. Aber den besten Einblick bekam ich, als ich am Freitagabend einen Spätdienst absolvierte. Ich sollte die erste Lokalseite machen. Ich nahm an allen Besprechungen teil, baute die Seite grob auf, bekam die ersten Texte, leitete sie weiter zum Copy-Editor, der sie mir redigiert und mit Überschrift wieder zurückschickte. Ich stellte dann alles um, als der Haupttext zurückgezogen wurde und schloss schließlich spät meine erste Seite bei der Post-Dispatch ab (Bild oben). Ich war begeistert, vor allem von den Kollegen, die mich freundlich und hilfsbereit in ihren Alltag einbezogen hatten.